JENNIFER KEUSGEN_RAPHAEL KROME // Δt - PLACEMENT OF MATTER

So intensiv wie heute wurde die Frage nach dem Status des Bildes nicht mehr verhandelt seit dem byzantinischen Bilderstreit und dem Ikonoklasmus der radikalprotestantischen Bewegungen. Tag für Tag überschwemmen wir unsere Mobiltelefone, Laptopbildschirme und Innenstädte mit Myriaden von Bildern.

Die Frage nach dem Umgang mit und dem Status der Bilderflut thematisieren die in München lebenden und arbeitenden Designer und Künstler Jennifer Keusgen und Raphael Krome in einer photographisch-interaktiven Installation mit dem Titel Δt - placement of matter. Hierzu haben sie die Schaufenster des Ausstellungsraumes CENTERCOURT mit 80-prozentiger, schwarzer Tönungsfolie verdunkelt und an den Wänden des Innenraums zwei Keilrahmen angebracht, die sie mit nachleuchtendem Stoff bezogen haben. Zwei an Autopolen befestigte UV LED Strahler belichten diese „fluoreszierenden Leinwände“ in unterschiedlichen Zeitintervallen. Ein Negativbild jedes Gegenstands, der sich in der Lichtschranke in dem Raum zwischen LED Strahlern und Leinwand befindet, wird auf die nachleuchtende Folie projiziert. Der Vorgang erinnert in seiner Poesie an die Wirkweise eines Polaroids, jedoch verharrt - anders als bei einem Polaroid – das Abbild jedoch nur wenige Sekunden auf dem Bildträger, bevor er nach und nach verschwindet.  

Schon Platon hat das Schattenspiel als Ausgangspunkt seines Höhlengleichnisses genutzt, in welchem er einen unterirdischen Naturraum imaginiert, in dem die Menschen die Welt als an die Wand geworfene Schattenbilder erfahren, die sie für die Wirklichkeit halten. Jennifer Keusgen und Raphael Krome spielen mit der platonischen Urangst vor der Konfrontation mit dem unkontrollierbaren (Ab)bild. Indem sie den Funktionsmechanismus der Fotografie mit Mitteln der Fotografie außer Kraft setzen, den Moment der Konservierung des Augenblicks durch dessen kontinuierliches Verschwinden substituieren, führen sie nicht nur das Medium an sich ad absurdum, sie unterziehen auch die Frage nach dem Original einer Neuverhandlung. Durch die Unmöglichkeit einer permanenten Fixierung der Negative auf der Leinwand setzen sie an die Stelle des Originals eine Flut an originären Bildern, die ihren Status als authentische materielle Realisate mit jedem Verschwinden konterkarieren. Der Titel Δt, astronomischer Fachausdruck für die Differenz zwischen der Terrestrischen Zeit (TT) und der Universal Time (UT), kann somit auch als Metapher für den unsicheren Status des Bildes in seiner Funktion als vermeintlich gesichertes Abbild einer Realität gelesen werden, die heute mehr als je zuvor als Konstrukt aus ubiquitären Bildern erscheint.

Rosali Wiesheu